Sonntag, 20. Mai 2012

Ordentlicher und außerordentlicher Usus und der garstige Graben in den Köpfen


1. Als Papst Benedikt XVI. am 7. 7. 2007 das Motu proprio „Summorum pontificum“ promulgierte, war dessen Aufnahme durchaus zurückhaltend. Gerade in Theologenkreisen wurde hierin ein Rückschritt befürchtet, ja man sah bereits die nach dem Zweiten Vatikanum vollzogene Liturgiereform in Gefahr, was durch den Wortlaut des päpstlichen Schreibens in keiner Weise gedeckt ist. Aus solchen Statements kann man eine Reserviertheit, wenn nicht sogar deutliche Ablehnung der liturgischen Formen erkennen, die bis zur Einführung des Missale Romanum Pauls VI. 1970 galt. Die „Tridentinische Messe“, wie man auch heute noch sagt, und ihre als typisch angesehenen Charakteristika (Zelebration mit „dem Rücken zum Volk“, Lateinische Kultsprache etc.) wird von manchen mit einer gewissen Rückständigkeit gleichgesetzt, bestenfalls ein Zugeständnis an etwas wunderliche und merkwürdige Personen, die mit der heutigen, modernen Welt einfach nicht zurechtkommen. Umgekehrt wird in traditionellen Kreisen die erneuerte Liturgie der Kirche bestenfalls als defizient gebrandmarkt; für eine allerdings kleinere Schar ist der „Novus Ordo“, wie man dort gerne sagt, geradezu Inbegriff des Häretischen, ja Antikatholischen, so dass man meint, sich in die Wagenburg der „Alten Liturgie“ zurückziehen zu müssen.

2. Wenn man hier ausgewogen und ohne Polemik, die zwischen beiden Lagern leider reichlich ausgetauscht wird, zu einem vernünftigen Standpunkt gelangen will, so wird man verschiedene Ebenen zu beachten haben. Zum einen darf man natürlich auch die Liturgiereform einer Analyse unterziehen. Hierbei kann man bei der Betrachtung der jeweiligen Änderungen gegenüber den liturgischen Büchern von 1962 im Detail bisweilen legitimerweise unterschiedlicher Meinung sein. Ist man in einigen Fällen vielleicht zu weit gegangen? Hätte man nicht behutsamer vorgehen müssen? Dient es zB. dem pastoralen Nutzen, das Schuldbekenntnis zu Beginn der Messe oder das alte Invitatorium „Orate fratres“ als fakultativ zu betrachten? Sind die neuen Offertoriumsgebete vielleicht etwas zu stark reduziert? Andererseits gibt es doch auch Verbesserungen. So ist z. B. die Zahl der Präfationen im Vergleich zum Missale Romanum 1962 sehr vermehrt worden, um den einzelnen Festen auch am Beginn des Hochgebetes ihre eigene Prägung zu geben. Andere Anstöße der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“, wie zB. eine stärkere Einbeziehung des Stundengebetes in die gemeindliche Liturgie, sind in der Praxis leider  nicht oder nur sehr partiell umgesetzt worden.

3. Aber es dürfte bei allen Kontroversen außer Frage stehen, dass die sich streng an die liturgischen Bücher haltende Zelebration der ordentlichen Liturgie, sei es die Hl. Messe, sei es das Stundengebet der Kirche, in sich würdig und erhaben ist. Hier sei etwa an die päpstliche Liturgie erinnert, die sich durch den seit 2008 tätigen päpstlichen Zeremoniar Guido Marini stärker als unter dessen Vorgänger einer „Hermeneutik der Kontinuität“ verpflichtet sieht. Hiermit berühren wir allerdings m. E. das Kernproblem: Von Anfang an nämlich hat die erneuerte Liturgie mit Problemen zu kämpfen, die nicht in ihrem innersten Wesen liegen, sondern von anderen zeitbedingten Entwicklungen herrühren. Es ist die Zeit der Studentenunruhen, der Kulturrevolutionen. Viele wollten mit alten Traditionen bewusst brechen, alte Zöpfe abschneiden. Von diesem Zeitgeist blieb auch so mancher Pfarrer und Kaplan nicht unberührt. Die Weisungen des Zweiten Vatikanums sind nämlich dahingehend missgedeutet worden, das nun eine schrankenlose Freiheit in der Liturgie gegeben sei, die das liturgische Geschehen in das Belieben des einzelnen Klerikers stelle, sehr oft zum großen Erschrecken des Kirchenvolkes, das jedoch überhaupt nicht gefragt worden ist. Diese „liturgische Kreativität“ war und ist im klassischen römischen Ritus in der Tat in diesem Maße völlig undenkbar, mag es auch hier und da immer schon kleinere oder größere Verstöße gegen die liturgische Ordnung der Kirche gegeben haben. Sich progressiv dünkende Kleriker erblickten nach dem Konzil an vielen Orten die Zukunft der Liturgie in der bewussten Entsakralisierung, im bewussten Abrücken von einer ganz auf das Heilige ausgerichteten Liturgie. Man formuliert eigene Texte oder fügt in die offiziellen Gebeten eigene Gedanken an, die oft ungeschickt und unbeholfen wirken. Die Kirchen wurden „entrümpelt“, Statuen, Altäre entfernt, die erhabenen kostbaren Paramente kamen in die Altkleidersammlung oder wurden in die Sakristeischränke verbannt. Hierzu gehört auch der erschütternde Verfall der Kirchenmusik; an die Stelle des Chorals und der mehrstimmigen Kirchenmusik tritt häufig Musik im Stile der modernen Unterhaltungsmusik, im letzten unfähig, den Menschen über diese Welt hinaus zum göttlichen Geheimnis hin zu erheben. Nicht zu vergessen ist selbstverständlich der praktische Verlust der lateinischen Liturgiesprache in so vielen Gemeinden und das faktische Monopol der Volkssprachen in der Liturgie. Natürlich besitzt die Volkssprache ihre Berechtigung in der Liturgie. Jedoch gibt es Gemeinden, in denen seit 40 Jahren kein einziges lateinisches Hochamt mehr gefeiert worden ist. Dies alles hat mit der Liturgiekonstruktion, mit der Liturgiereform und mit dem neuen Ritus nichts zu tun, sondern steht im offenen Widerspruch zum Willen des Konzils und der Kirche; diese Phänomene sind kein liturgischer Fortschritt, sondern müssen als erschütternder Verfall und Verwahrlosung angesehen werden.

4. Vor diesem Hintergrund sind viele Ansatzpunkte für eine „Neue liturgische Bewegung“ gegeben. Wichtig wird es sein, die Kontinuität zwischen dem außerordentlichen und dem ordentlichen Usus zu betonen. Es sind ja nicht zwei sich unversöhnlich gegenüberstehnde Liturgien, die zwei verschiedenen Kirchen, einer sog. vor- und nachkonziliaren Kirche angehören würden. Beide sind doch auf die Verehrung und Anbetung der göttlichen Majestät ausgerichtet, realisieren diese auf etwas unterschiedliche Weise. Angesichts einer weltweiten Krise der heutigen Liturgie ist die Freigabe der „tridentinischen“ Liturgie der Kirche durch Papst Benedikt von großer Bedeutung. Gerade um der rechten Aneignung der neuen Missale muss die Exkommunikation des alten aufhören – so Papst Benedikt XVI. in seiner Autobiographie. Man muss den ordentlichen Usus endlich flächendeckend in der Tradition der katholischen Liturgie und Theologie verstehen lernen und darf ihn nicht als einen totalen Neuanfang sehen. Diese Sichtweise nämlich widerspricht nicht nur der lehramtlichen Sichtweise, sondern führt auch letztlich zu „Zerstörungen an heiliger Stätte“.

5. Nicht in einem Gegeneinander, sondern einem Miteinander beider Usus sollte die Zukunft der römischen Litugie liegen. Interessanterweise ist in der jüngeren Generation teilweise eine größere Offenheit und Gelassenheit zu beobachten: Man kann sich durchaus der ordentlichen Form der römischen Liturgie verbunden fühlen, ohne die außerordentliche Form abzulehnen, ja vielleicht sogar dann und wann an ihr teilnehmen. Es ist an der Zeit, den „garstigen Graben“, der in manchen Köpfen zwischen beiden Formen der römischen Liturgie liegt, endlich aufzufüllen. Denn auch dies ist Fakt: Beide Usus gehören liturgierechtlich betrachtet zur römischen Liturgie. Somit kann man trotz einer durchaus legitimen besonderen Verbundenheit und Verwurzelung in einem Usus den jeweils anderen nicht von Grund auf ablehnen, ohne sich von den Vorgaben des Lehramtes zu entfernen. 

4 Kommentare:

  1. Miror, an tibi verbum "garstiger Graben", quod primum Rudolf Bultmann dixisse putem, attulissem an ex te ipso hoc verbo usus sis. Scio me semper verbo "garstiger Graben" uti, cum de rebus antiquissimis vel liturgicis colloquor.

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  2. Ceterum maxime doleo hos, quos haec verba erudire (!) possunt, non legere nec audire solere...

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  3. "Die „Tridentinische Messe“, wie man auch heute noch sagt, und ihre als typisch angesehenen Charakteristika (Zelebration mit „dem Rücken zum Volk“)"


    Als Einwurf dazu aus der konfessionsverbindenden Ecke:

    Mein Mann (Lutheraner) sieht "ad populum" als echtes Problem an. Gott wird hier entweder durch den Zelebranten "der Rücken zugedreht" oder Gott "dreht den Rücken zur Gemeinde" und beides ist nicht das, was ausgedrückt werden sollte.

    Präkonziliarer Lutheraner? :-)

    Ich zucke immer zusammen wenn er gegenüber irgendeinem Katholiken diese Dose voller Würmer öffnet, aber bisher hatte nach kurzen Gespräch über seine Sicht der Dinge fast jeder Verständnis für seine bedenken.

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  4. Als ich vor Jahren als ehemaliger Lutheraner in die katholische Kirche aufgenommen wurde, erwartete mich ein Kulturschock. Kommunion im Stehen und in die Hand. Unglaublich. Habe mich erst mal angepasst. Damit ist es jetzt vorbei. Die spinnen, die Neokatholen.

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