Diesmal improvisiert M. Chapuis nicht im Stil
des norddeutschen, sondern französischen Barock. Es handelt sich meist nicht um
große ausgedehnte Formen, sondern eher kurze Stücke, die in der Liturgie alternatim
verwendet wurden, d. h. Wechsel zwischen Choralgesang und Orgel. Diese Praxis
wurde häufig in der Messliturgie verwendet, so dass man von Orgelmessen spricht.
Die Stücke werden meist nach ihrer Registrierung benannt: Plein jeu (volles
Werk), Cromehorn en taille, Recit de nasard etc. Bekannte Komponisten dieser
Gattungen sind F. Couperin, J. F. Dandrieu, L. Marchand u. v. a. Bei der Orgel
handelt es sich um diejenige der Hofkirche von Versailles, ein traditioneller Ort
großer Kultur- und Musikpflege.
Montag, 25. Juni 2012
Sonntag, 17. Juni 2012
Der Eifer für Dein Haus verzehrt mich
1. Dieses Psalmwort mag heute Anlass sein, einmal an die vielen
Sakristane zu denken, die sich tagaus tagein für das Haus Gottes einsetzen und
dort ihren Dienst tun. Sie wirken im Hintergrund und doch ist ihre Tätigkeit
etwas, was ganz und gar nicht im Hintergrund bleibt. Das Ergebnis ihrer Arbeit
sieht man nämlich im liebevollen und würdigen Schmuck einer Kirche. Diese
Aufgabe ist keine unbedeutende, sondern im Zusammenspiel mit Kirchenmusikern
und Klerus sorgen sie für eine würdige und dem Heiligen entsprechende Liturgie,
ja sind für diese mitverantwortlich. Sie bereiten gleichsam den „heiligen Boden
bzw. Raum“, auf dem sich die feierlichen Zeremonien entfalten können. Wie
wichtig eigentlich ihre Aufgabe ist, kann man noch deutlicher sehen, wenn man
sich den historischen Hintergrund verdeutlicht, vor dem wir heutigen oftmals
mit Schulterzucken und Unverständnis stehen, der aber das kirchliche Leben der
letzten 45 Jahre durchaus geprägt hat, nicht unbedingt zum besseren.
2. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil meinte man an so
manchen (gottlob nicht an allen!) Orten, auf Kirchenschmuck entweder ganz zu
verzichten oder ihn zumindest stark zu reduzieren. Diesem nachkonziliaren
„Bildersturm“, der sich übrigens mit keinem Text des Konzils auch nur irgendwie
rechtfertigen lässt, sind viele Paramente, Statuen, ja ganze Altäre zum Opfer gefallen.
Die praktische Folge war, dass viele Kirchen plötzlich ähnlich grau und
langweilig aussahen wie sich der Alltag in einem Betonhochhaus der 70er Jahre
gestaltete. Der Priester trug anstelle feierlicher, mit viel Kunstfertigkeit
hergestellter Kaseln graue, kunstlose Mantelalben, deren Stoff eher dem eines
„Kartoffelsackes“ ähnelte. Das regelrechte „Leerräumen“ vieler Kirchen tat sein
übriges hinzu. Es wäre ein interessantes und bestimmt auch erschütterndes
Unterfangen, einmal die Zerstörung von kirchlichen Kunstwerken nach dem Zweiten
Vatikanischen Konzil für jeweils einzelne Gegenden zu dokumentieren.
3. Die Intention solcher Aktionen war es, gleichsam
sinnenfällig zu dokumentieren, dass mit der Liturgiereform ein Bruch erfolgt
ist, dass die Kirchengeschichte sich in eine vor- und nachkonziliare Periode
gliedert. Das, was man mit der Epoche vor dem Konzil identifizierte, wurde
bestenfalls in die Sakristeischränke verbannt, schlimmstenfalls besser gleich
vernichtet. Durch die Abschaffung von Altardecken mit Spitzenbesatz glaubten so
manche Kleriker, endlich in der Moderne angekommen zu sein. Ein solcher äußerer
wie aber oftmals auch innerer Bruch mit der Vergangenheit ist der komplette
Gegenentwurf zur nicht nur von Papst Benedikt präferierten „Hermeneutik der
Kontinuität“, die das Konzil in den Strom der Überlieferung einordnet und vor
allem einen solchen „Geist des Konzils“ in Frage stellt, der bemüht wird, wenn
man den Wortlaut des Konzils mehr oder weniger elegant aushebeln will. Die
Liturgie, die Gestaltung der Kirchen, die Kirchenmusik etc. bieten übrigens
sehr gute „Studienmöglichkeiten“, wenn man sich den Unterschied beider Ansätze
– Hermeneutik der Kontinuität versus „Geist des Konzils“ – einmal vor Augen
führen will.
4. Warum Kirchenschmuck, Kirchenarchitektur, Paramentik
etc. nicht bloß der „Zuckerkringel auf der Sahnetorte“ sind, sondern eine
wichtige Funktion in der Glaubensverkündigung besitzen, muss ein andermal
ausführlicher dargelegt werden. Gewisse Ansätze für diese Frage kann man der
Abhandlung über die Kirchenmusik auf dieser Seite entnehmen (http://humanitas-christiana.blogspot.de/2012/06/die-identitatskrise-der-kirchenmusik.html).
5. Um auf den Eingang
zurückzukommen: Allen, die sich für das „Haus des Herrn“ einsetzen, soll einmal
herzlich gedankt werden. Es ist für sie nicht immer einfach, für den Schmuck
und die Ausgestaltung einer Kirche zu sorgen, wenn etwa der verantwortliche
Kleriker ein Anhänger der „Hermeneutik des Bruches“ ist. Hier gilt es im Rahmen
des Möglichen in einem besonnenen Vorgehen für die Weltoffenheit und
Sinnlichkeit des Katholischen einzutreten und nicht zu zaudern, die Schönheit
des katholischen Glaubens den Gläubigen sichtbar zu machen. Auch wenn die Medien
heute oftmals den Katholizismus in die Ecke von Obskurantismus drücken wollen, ist
er gerade das nicht, sondern zeichnet sich im guten Sinne des Wortes „traditionell“
durch Sinnenfreude und Liebe zum Guten, Wahren und Schönen aus. Und genau dies
gilt es, heute wieder erfahrbar zu machen, gerade auch denen, die an die Stelle
der Fülle die Leere und Kunstlosigkeit stellen wollen.
Mittwoch, 13. Juni 2012
Der "Klampfenkatholizismus" und die Gitarre
Der Begriff „Klampfenkatholizismus“ ist eine
ironische und kritische Bezeichnung für die Verwendung der Gitarre als
Begleitinstrument für den Gemeindegesang sowie die meist hiermit verbundene liturgische "Bastelmentalität", die zur "Freestyleliturgie" führt. Hierbei muss man aber zwei Ebenen
unterscheiden:
Zum einen ist die Gitarre in größeren Räumen
wie Kirchen nicht unbedingt geeignet zur Begleitung des Gemeindegesangs. Gitarre
wie auch Laute sind eher für die Begleitung einzelner Sänger oder kleinerer
Gruppen angemessen. Hinzu kommt jedoch entscheidend, dass die Gitarre als bewusstes Element einer Desakralisierung eingesetzt wird, was die musikalische
Faktur der von ihr begleiteten Lieder unterstützt. Es entsteht mehr eine „Lagerfeueratmosphäre“
als die einer kultisch-liturgischen Handlung. Die Verwendung der Gitarre in der
Liturgie ist ein Phänomen bzw. ein Relikt der 60er und 70er Jahre, als Protest
gegen eine traditionell orientierte Hochliturgie mitsamt der überkommenen
Kirchenmusik und der Orgel und entspringt so sicher dem Geist der "theologischen 68er".
Zum anderen dürfen aber solche kritischen
Bemerkungen zur Art der liturgischen Verwendung der Gitarre dieses Instrument nicht
generell abwerten, wie es der Terminus „Klampfe“ nahezulegen scheint. Die Gitarre
sowie die ihr verwandte Laute sind Instrumente, die sich hervorragend auch für
anspruchsvolle polyphone Musik eignen und ihre eigene Schönheit entfalten
können. Als kleines Beispiel hier eine Fuge von J. S. Bach:
Ebenso
ist vor allem die Laute ein typisches Continuo-Instrument, das sehr gut für die
Begleitung einer Arie oder Sonate für Soloinstrument geeignet ist. Auch hier ein kleines Beispiel:
Die Beispiele zeigen, dass Gitarre und Laute eine ganz andere Dimension besitzen, als es das Gitarrenspiel in so manchem Jugendgottesdienst erahnen lassen würde. Wenn sich also auch die Gitarre aufgrund ihres eher leiseren Klangs nicht als Begleitinstrument des Gemeindegesangs in einer Kirche eignet, könnte sie in einem Ensemble oder auch zur Begleitung eines Sologesanges, etwas einem Lied aus Bachs Schemelligesangbuch, durchaus Verwendung finden, auch wenn man hier der Orgel als d e m kirchlichen Instrument meist den Vorzug gibt.
Insgesamt muss man aber festhalten, dass die
Art und Weise des "liturgischen Gitarrenspiels" dem Ansehen dieses
Instruments eigentlich erheblich schadet, impliziert man hier doch eher die
"Klampfe" am Lagerfeuer, die man auch mit geringerem Übungsaufwand zu
beherrschen glaubt, wonach es sich in manchem "modernem" Gottesdienst
dann auch anhört. Dies wird aber dem Instrument in keinster Weise gerecht.
Somit scheint die Gitarre auch ein "verkanntes" Musikintrument zu
sein, das seine Funktion als "Katalysator der Desakralisierung" überhaupt
nicht verdient hat.
Mittwoch, 6. Juni 2012
Lauda Sion salvatorem
Das Hochfest
Fronleichnam (von mittelhochdeutsch: vrône lîcham „des Herren Leib“)
wurde erstmals 1246 im Bistum Lüttich gefeiert und 1264 von Papst Urban IV.,
der zuvor Erzdiakon in Lüttich war, durch die Bulle „Transiturus de hoc
mundo“ zum Fest der Gesamtkirche erhoben. Festinhalt ist das feierliche
Gedächtnis der Einsetzung des Altarssakramentes, welches auch am Gründonnerstag
begangen wird, dort allerdings stärker von der bevorstehenden Passion geprägt
und somit verhaltener.
Die Anregung zum
Fronleichnamsfest soll auf eine Vision der später heilig gesprochenen
Augustiner-Chorfrau Juliana von Lüttich im Jahre 1209 zurückgehen. Diese habe
in einer Vision den Mond gesehen, der an einer Stelle verdunkelt war. Christus
habe ihr erklärt, dass der Mond das Kirchenjahr bedeute, der dunkle Fleck aber
das Fehlen eines eigenen Festes des Altarssakraments, auf dessen Einführung sie
hinwirken solle.
Die Gebete und Hymnen
für Messfeier und Stundengebet werden dem großen Theologen Thomas von Aquin
zugeschrieben; viele von ihnen sind auch als deutsche Kirchenlieder bekannt
geworden: Pange lingua (Preise Zunge das Geheimnis), Adoro te devote
(Gottheit tief verborgen) oder die berühmte Sequenz Lauda Sion salvatorem
(Deinem Heiland, Deinem Lehrer).
Mit einer feierlichen
Sakramentsprozession wurde das Fest erstmals im Jahre 1277 in Köln begangen. Danach hat sich dieser Brauch
in ganz Deutschland und auch darüber hinaus ausgebreitet.
Introitus "Cibavit eos"
Sequentia "Lauda Sion salvatorem"
Dienstag, 5. Juni 2012
Sonntag, 3. Juni 2012
Benedicta sit sancta Trinitas
Der heutige
Festtag macht uns bewusst, dass wir in all unserem Reden von Gott niemals das
Mysterium Gottes je völlig einholen können. Diese Unbegreiflichkeit Gottes
bringt diese folgende kleine Geschichte zum Ausdruck:
Einst ging der hl. Augustinus - so wird erzählt - am Meer spazieren und dachte über das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Da bemerkte er ein Kind, das mit seinem kleinen Eimer Wasser aus dem Meer in einen kleinen, abgegrenzten Bereich schöpfte. „Was machst du da?“ - „Ich möchte das Meer in meinen Teich schöpfen!“. Da lachte Augustinus: „Das wird dir nie gelingen!“. Da richtete sich das Kind auf und sagte: „Ich mache es genauso wie du: Du willst mit deinem kleinen Verstand das unergründliche Geheimnis des dreieinigen Gottes verstehen!“
Gott ist der
immer Größere, der Andere, der sich dem menschlichen Begreifenwollen im letzten immer
wieder entzieht. Menschliche Rede ist raum-zeitlich gebundene Rede, die eine
Welt jenseits dieser irdischen Welt, die Transzendenz, die zeitlose Welt, nur
sehr schwer zum Ausdruck bringen kann. Daher ist religiöse Sprache eine sehr
bilderreiche und poetische Sprache, die im wahrsten Sinne des Wortes
Unanschauliches in die Anschaulichkeit von Symbolen und Bildern überführt.
Auch wenn,
wie uns das Vierte Laterankonzil lehrt, die Unähnlichkeit jeder Aussage über
Gott größer ist als die Ähnlichkeit, ist Gott dennoch im christlichen Glauben
nie nur der ganz Ferne, da er durch die Offenbarung in Jesus Christus mit uns
Menschen in Beziehung tritt. Um es mit den Worten Jochen Kleppers zu sagen:
Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah. Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah, mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar, will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr.
Es ist diese
Spannung, die den christlichen Glauben zutiefst prägt. Wir können die Gedanken
Gottes nicht nachdenken, wir können ihn selbst nicht begreifen, wir wissen
aber, dass wir Gott als seine Geschöpfe nicht gleichgültig sind, weil er selbst durch die Propheten, dann in Jesus Christus zu uns gesprochen hat. Diese Beziehung zwischen dem unsagbaren großen Gott und dem kleinen Mensch als seinem Geschöpf spiegelt auch Psalm 8 wider:
2 Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus.3 Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.4 Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt:5 Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?6 Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.7 Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt:8 All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere,9 die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.10 Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!
Samstag, 2. Juni 2012
Der außerordentliche Usus im Film 1
Der obige Ausschnitt stammt aus dem Film „True
Confessions“ aus dem Jahre 1981. Man kann über den Zusammenschnitt aus
liturgischer Sicht sicherlich geteilter Meinung sein, da der Eindruck entsteht,
dass auf die Elevation des Kelches ein „Dominus vobiscum“ folgt. Das ist
sicherlich etwas ungeschickt gemacht. Darüber hinaus ist es aber schon sehr
berührend. Und man wird nicht leugnen können, dass dieses „Exzerpt“ die
Schönheit der Formen einer klassischen Liturgie widerspiegelt. Diese ist –
historisch betrachtet – „von dieser Welt“ und gleichzeitig ist sie es auch
nicht…
Freitag, 1. Juni 2012
Die Identitätskrise der Kirchenmusik und ihre mögliche Überwindung
1. Gegenwärtig befindet sich an nicht
wenigen Orten die katholische Kirchenmusik in einer tiefgehenden Krise. Im
deutschsprachigen Raum scheint die Situation im Vergleich zu Italien,
Frankreich, Spanien u. a. noch akzeptabel zu sein, da es noch eine ganze Reihe
hochqualifizierter Kirchenmusiker gibt, die ihren Dienst mit viel Engagement
und Einsatz verrichten, auch wenn hier Sparmaßnahmen vieles in Frage zu stellen
drohen. In Italien zB., ja sogar in Rom selbst, kann man es häufig beobachten,
dass zwar eine Orgel in der Kirche vorhanden ist, diese aber schweigt. Sie wird
dann gleichsam zu einer Art „Sinnruine“, die den kundigen Kirchenbesucher mit
Trauer und einer leisen Sentimentalität erfüllt. „Sic transit gloria mundi“ –
„So vergeht der Welten Ruhm“ mag man angesichts stummer Orgeln bzw. ihrer
Substitution durch Gitarrenmusik denken.
2. Als Indiz einer Identitätskrise katholischer
Kirchenmusik soll heute das Augenmerk auf einen hiermit eng verbundenen
Problembereich gelegt werden, nämlich die Verwendung moderner
Unterhaltungsmusik in der Liturgie. Dies geschieht längst nicht mehr nur in
eigens abgehaltenen Jugendmessen, sondern auch in „normalen“ Messliturgien
sowie „Großveranstaltungen“, wie zB. bei Katholikentagen, scheint die
Verwendung von „Sacro-Pop“ nahezu unumgänglich zu sein. Auf diese Weise möchte
man vor allem junge Menschen ansprechen, offenbar in der Annahme, dass diese im
Grunde nur noch durch Formen von Pop- und Rockmusik erreichbar sind. Auf den
ersten Blick scheint ein solches Unterfangen durchaus plausibel zu sein.
Unterliegt nicht auch die Kirchenmusik Entwicklungsprozessen? Was man vor 100 oder
50 Jahren für angemessen hielt, muss es nicht mehr in unserer Zeit sein. Hat
denn nicht jede Zeit ihre ganz eigenen Ausdrucksformen? Entspricht die
Verwendung populärer Unterhaltungsmusik nicht sogar der vom Konzil betriebenen
Öffnung zur Welt? Solche oder ähnliche Argumente kann man immer wieder hören,
so dass es notwendig erscheint, sich einmal eingehender mit diesem
Problemkomplex zu beschäftigen.
3. Der Ausgangspunkt unserer Überlegungen
über das Wesen katholischer Kirchenmusik soll die Tatsache sein, dass nichts in
der Liturgie der Kirche Selbstzweck ist, sondern alles Verweischarakter besitzt.
Die je eigene Schönheit des Kirchengebäudes, die herrlichen Kultgewänder und
heiligen Geräte, der wohlduftende Weihrauch, der Kirchenschmuck und so auch die
Kirchenmusik sind in einen höheren Zusammenhang eingeordnet und haben im
wesentlichen eine zweifache Aufgabe: Zum einen dienen sie der Verherrlichung und
des Lobpreises der unermesslichen Größe und Majestät Gottes und sind somit so
etwas wie eine - natürlich begrenzte - Antwort des Menschen auf die Erfahrung eines
Gottes, der alles menschliche Begreifen um ein vielfaches übersteigt. Zum
anderen wollen diese Dinge den Gläubigen helfen, gleichsam diese materielle
Welt zu übersteigen, alle Erdenschwere hinter sich zu lassen und die Herzen zu
der höheren, geistigen und ewigen Wirklichkeit des Heiligen zu erheben. Dies
könnte man mit dem Churer Theologen und Philosophen Heinrich Reinhardt das
Prinzip der „sacrifera sacralitas“ nennen, eine Atmosphäre der Sakralität, die uns
Menschen eine Erfahrung des Heiligen schenkt, die über diese materielle
Realität hinausweist (http://www.katholik.com/sakral.htm). In der Schönheit und im Glanz der kirchlichen Liturgie spiegelt sich
im Hier und Jetzt ein wenig von der alles überstrahlenden göttlichen Schönheit
wider, die irdische Liturgie ist gleichsam ein Vorkosten der himmlischen
Liturgie und mit dieser also verbunden, wie es besonders in der östlichen Tradition verstanden
wird und wie es auch vom Zweiten Vatikanum in SC 8 formuliert worden ist:
In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes.
4. Wie aber kann speziell die Kirchenmusik
dies alles erreichen? Sie wirkt auf die Seele des Menschen ein und löst in ihr
Affekte aus, wodurch sie den Menschen bei der Transzendierung des Irdischen unterstützt.
Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder deiner Kirche. Die Weisen drangen an mein Ohr, und die Wahrheit flößte sich ins Herz, und inniges Gefühl wallte über: Die Tränen flossen, und mir war wohl bei ihnen.
So beschreibt Augustinus als mediterraner Mensch
in den Confessiones seine Empfindungen, die in ihm durch den
Kirchengesang in Mailand ausgelöst worden sind. Tiefe Ergriffenheit breitet
sich also im Herzen derer aus, die diese Hymnen hören; es wäre wert, solche
Zeugnisse über die Wirkung der musica sacra durch die Jahrhunderte zu
sammeln, man würde beträchtliches finden. Ganz unterschiedliche Emotionen
können in der Seele geweckt werden, alle aber hingeordnet auf das Heilige und
Ewige. Ein heiliger Ernst, fern aller Zerstreung durch das Irdische soll das
Innere des Menschen erfüllen: Mächtig-brausende Orgeltöne z.B. lassen uns etwas
von der Größe und Majestät Gottes spüren und künden von einer anderen Wirklichkeit,
leisere und ruhige Orgelmusik regt eher zur Meditation und Besinnung an. Der
erhabene Gregorianische Choral in seiner großen Strenge und „trunkenen
Nüchternheit“ zeigt dem Menschen, dass er nun gleichsam die Welt mit ihrer Geschäftigkeit
und Diesseitsorientierung, also alles das, was vor dem Heiligtum ist, verlässt
und den Bereich Gottes betritt, das Heiligtum. Er erinnert uns immer wieder
auch an den Anspruch, den Gott an unser aller Leben stellt, und dem wir so oft
nicht entsprechen. Ähnliches gilt etwa für die erhabene klassische
Vokalpolyphonie eines Palestrina, Orlando di Lasso und für viele andere große
und kleine Meister aller Jahrhunderte.
5. Da es um die Transzendierung des
Menschen geht, dürfte es verständlich sein, dass sich die musica sacra
zB. von der Musik, die man in einem Kaufhaus oder einer Unterhaltungssendung in
Radio und Fernsehen hören kann, unterscheiden muss. Hinzu kommt, dass diese
Musik völlig andere Wurzeln als die abendländische Kirchenmusik hat. Die
moderne Rockmusik etwa besitzt diese im letzten in der afrikanischen
Stammesmusik. Diese ist größtenteils auf die evocatio ausgerichtet, die
Beschwörung von Göttern oder Dämonen, christliche Kirchenmusik auf die
adoratio, die Anbetung Gottes. Aber auch in unserer Zeit, wo die Anfänge der
modernen Popmusik kaum mehr im Bewusstsein der Massen sein dürften, besitzt sie
eine andere Ausrichtung: Durch ihre eigenen musikalischen Ausdrucksformen, ihre
schnellen Rhythmen, aber auch ihre Texte will die moderne Unterhaltungsmusik
Zerstreuung und Ablenkung bieten, sie will Geschichten des alltäglichen Lebens,
von Liebe und Leidenschaft, von Freude und Kummer erzählen, sie will je nachdem
auch Protest ausdrücken oder einfach nur als Musik zum Tanz auffordern. Pop-
und Rockmusik sind mit ihren musikalischen Ausdrucksformen naturgemäß nicht auf
das Ewige ausgerichtet, was ja auch gar nicht ihr eigener Anspruch ist, sondern
mehr auf den Augenblick, auf eine gewisse Gefälligkeit, auf eine unmittelbare
Eingängigkeit. Wohlgemerkt: Diese Musik besitzt zweifelsohne ihre Berechtigung
im Leben der Menschen, das steht außer Frage; sie sollte jedoch nicht mit
Schlagzeug, E-Gitarre und hämmernden Rhythmen in den heiligen Raum eindringen.
Machen wir die Probe auf Exempel: Nur sehr wenige würden wohl auf die Idee
kommen, auf einer Geburtstagsparty durchgängig Gregorianischen Choral oder
Palestrina erklingen zu lassen. Wenn im Fernsehen übrigens unsere schönen Dome,
Kirchen und Klöster vorgestellt werden, hört man im Hintergrund sehr oft
Gregorianik oder klassische Vokalpolyphonie. Dies ist eine ganz natürliche und
nahe liegende Assoziation.
6. Für die Kirchenmusik ergibt sich heute
eine zweifache Aufgabe: Zum einen muss der große thesaurus musicae sacrae
intensiv gepflegt werden, was wiederum auch das Zweite Vatikanische Konzil in
SC 114 betont:
Der Schatz der Kirchenmusik möge mit größter Sorge bewahrt und gepflegt werden. Die Sängerchöre sollen nachdrücklich gefördert werden, besonders an den Kathedralkirchen. Dabei mögen aber die Bischöfe und die übrigen Seelsorger eifrig dafür Sorge tragen, daß in jeder liturgischen Feier mit Gesang die gesamte Gemeinde der Gläubigen die ihr zukommende tätige Teilnahme auch zu leisten vermag.
Doch ebenso muss diese großartige Tradition
in unserer Zeit lebendig und adäquat fortgeführt werden. Nicht nur zur
Bewahrung, sondern auch zur Weiterentwicklung ist die Kirchenmusik aufgerufen. Auch
unsere Zeit muss ohne jeden Zweifel einen würdigen Beitrag zur musica sacra
in all ihren Bereichen leisten. Kriterium jeglicher Neuschöpfung muss aber sein,
ob die beiden eingangs beschriebenen Intentionen der Kirchenmusik erfüllt sind,
die Verherrlichung und Anbetung Gottes und die Transzendierung des Menschen.
Hierzu dürfen nur wirklich geeignete Ausdrucksformen unserer Zeit Verwendung
finden, die jedoch die Gläubigen, denen die Eigenarten moderner Satztechnik
nicht vertraut sind, auch nicht verschrecken sollten. So wird man etwa auf eine
nicht zu extensive Verwendung von Dissonanzen achten müssen. Ebenso wird es
wichtig sein, die große Tradition des Kirchenliedes angemessen weiterzuführen.
Hierbei kommt es neben gediegener musikalischer Komposition auch auf Texte an,
die poetisch gehobenes Niveau besitzen. Um anzudeuten, welche Wege hier
beschritten werden sollten, sei stellvertretend zB. Jochen Klepper genannt. Als
kleines Hörbeispiel habe ich das berühmte Gedicht von Dietrich Bonhoeffer „Von
guten Mächten“ in der Vertonung von Otto Abel angeführt. Es ist kein Zufall,
dass die Melodie aus dem Jahre 1959, gleichsam also vom Vorabend der 60er Jahre stammt.
Denn in der evangelischen wie in der katholischen Kirche haben die 60er und
70er Jahre dazu geführt, dass viele Zeitgenossen mit „Neuem Geistlichen Lied“
nahezu ausschließlich Lieder im Sacro-Pop-Stil mit Schlagzeug und E-Bass verbinden,
eine Entwicklung, die es zu korrigieren gilt, ja mehr noch, ein schmerzender
Bruch, den es zu heilen gilt.
7. Fürst
Wladimir von Kiew hatte einst Gesandte zu den Deutschen, Polen, Griechen und
Bulgaren mit der Prüfung beauftragt, welche Religion am besten für sein Reich
sei. Als
diese aus Konstantinopel zurückkamen, waren sie überwältigt von der Erhabenheit
und Schönheit der Liturgie, die sie in der Hagia Sophia erlebten, so dass sie
verwundert fragten, ob sie noch auf Erden oder schon im Himmel seien. Größeren
Glanz könne man auf Erden unmöglich finden. Fürst Wladimir entschied sich
daraufhin für die byzantinische Kirche und ließ sich im Jahre 988 taufen. Die
Schönheit der Transzendenz bereits ahnungsweise in dieser Welt erfahrbar zu
machen, ist eine grundlegende Aufgabe der Kirchenmusik. Wo übrigens hätten sich
die Gesandten aus Kiew wohl gewähnt, wenn sie an einem Gottesdienst mit Pop-,
Rock- oder gar Technomusik teilgenommen hätten?
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