Montag, 25. Juni 2012

Michel Chapuis, Improvisation II


Diesmal improvisiert M. Chapuis nicht im Stil des norddeutschen, sondern französischen Barock. Es handelt sich meist nicht um große ausgedehnte Formen, sondern eher kurze Stücke, die in der Liturgie alternatim verwendet wurden, d. h. Wechsel zwischen Choralgesang und Orgel. Diese Praxis wurde häufig in der Messliturgie verwendet, so dass man von Orgelmessen spricht. Die Stücke werden meist nach ihrer Registrierung benannt: Plein jeu (volles Werk), Cromehorn en taille, Recit de nasard etc. Bekannte Komponisten dieser Gattungen sind F. Couperin, J. F. Dandrieu, L. Marchand u. v. a. Bei der Orgel handelt es sich um diejenige der Hofkirche von Versailles, ein traditioneller Ort großer Kultur- und Musikpflege.  

Georg Friedrich Händel (1685-1759): Suite Nr. 1 aus der Wassermusik


Sonntag, 17. Juni 2012

Der Eifer für Dein Haus verzehrt mich

1. Dieses Psalmwort mag heute Anlass sein, einmal an die vielen Sakristane zu denken, die sich tagaus tagein für das Haus Gottes einsetzen und dort ihren Dienst tun. Sie wirken im Hintergrund und doch ist ihre Tätigkeit etwas, was ganz und gar nicht im Hintergrund bleibt. Das Ergebnis ihrer Arbeit sieht man nämlich im liebevollen und würdigen Schmuck einer Kirche. Diese Aufgabe ist keine unbedeutende, sondern im Zusammenspiel mit Kirchenmusikern und Klerus sorgen sie für eine würdige und dem Heiligen entsprechende Liturgie, ja sind für diese mitverantwortlich. Sie bereiten gleichsam den „heiligen Boden bzw. Raum“, auf dem sich die feierlichen Zeremonien entfalten können. Wie wichtig eigentlich ihre Aufgabe ist, kann man noch deutlicher sehen, wenn man sich den historischen Hintergrund verdeutlicht, vor dem wir heutigen oftmals mit Schulterzucken und Unverständnis stehen, der aber das kirchliche Leben der letzten 45 Jahre durchaus geprägt hat, nicht unbedingt zum besseren.

2. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil meinte man an so manchen (gottlob nicht an allen!) Orten, auf Kirchenschmuck entweder ganz zu verzichten oder ihn zumindest stark zu reduzieren. Diesem nachkonziliaren „Bildersturm“, der sich übrigens mit keinem Text des Konzils auch nur irgendwie rechtfertigen lässt, sind viele Paramente, Statuen, ja ganze Altäre zum Opfer gefallen. Die praktische Folge war, dass viele Kirchen plötzlich ähnlich grau und langweilig aussahen wie sich der Alltag in einem Betonhochhaus der 70er Jahre gestaltete. Der Priester trug anstelle feierlicher, mit viel Kunstfertigkeit hergestellter Kaseln graue, kunstlose Mantelalben, deren Stoff eher dem eines „Kartoffelsackes“ ähnelte. Das regelrechte „Leerräumen“ vieler Kirchen tat sein übriges hinzu. Es wäre ein interessantes und bestimmt auch erschütterndes Unterfangen, einmal die Zerstörung von kirchlichen Kunstwerken nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil für jeweils einzelne Gegenden zu dokumentieren.

3. Die Intention solcher Aktionen war es, gleichsam sinnenfällig zu dokumentieren, dass mit der Liturgiereform ein Bruch erfolgt ist, dass die Kirchengeschichte sich in eine vor- und nachkonziliare Periode gliedert. Das, was man mit der Epoche vor dem Konzil identifizierte, wurde bestenfalls in die Sakristeischränke verbannt, schlimmstenfalls besser gleich vernichtet. Durch die Abschaffung von Altardecken mit Spitzenbesatz glaubten so manche Kleriker, endlich in der Moderne angekommen zu sein. Ein solcher äußerer wie aber oftmals auch innerer Bruch mit der Vergangenheit ist der komplette Gegenentwurf zur nicht nur von Papst Benedikt präferierten „Hermeneutik der Kontinuität“, die das Konzil in den Strom der Überlieferung einordnet und vor allem einen solchen „Geist des Konzils“ in Frage stellt, der bemüht wird, wenn man den Wortlaut des Konzils mehr oder weniger elegant aushebeln will. Die Liturgie, die Gestaltung der Kirchen, die Kirchenmusik etc. bieten übrigens sehr gute „Studienmöglichkeiten“, wenn man sich den Unterschied beider Ansätze – Hermeneutik der Kontinuität versus „Geist des Konzils“ – einmal vor Augen führen will.  

4. Warum Kirchenschmuck, Kirchenarchitektur, Paramentik etc. nicht bloß der „Zuckerkringel auf der Sahnetorte“ sind, sondern eine wichtige Funktion in der Glaubensverkündigung besitzen, muss ein andermal ausführlicher dargelegt werden. Gewisse Ansätze für diese Frage kann man der Abhandlung über die Kirchenmusik auf dieser Seite entnehmen (http://humanitas-christiana.blogspot.de/2012/06/die-identitatskrise-der-kirchenmusik.html).

5. Um auf den Eingang zurückzukommen: Allen, die sich für das „Haus des Herrn“ einsetzen, soll einmal herzlich gedankt werden. Es ist für sie nicht immer einfach, für den Schmuck und die Ausgestaltung einer Kirche zu sorgen, wenn etwa der verantwortliche Kleriker ein Anhänger der „Hermeneutik des Bruches“ ist. Hier gilt es im Rahmen des Möglichen in einem besonnenen Vorgehen für die Weltoffenheit und Sinnlichkeit des Katholischen einzutreten und nicht zu zaudern, die Schönheit des katholischen Glaubens den Gläubigen sichtbar zu machen. Auch wenn die Medien heute oftmals den Katholizismus in die Ecke von Obskurantismus drücken wollen, ist er gerade das nicht, sondern zeichnet sich im guten Sinne des Wortes „traditionell“ durch Sinnenfreude und Liebe zum Guten, Wahren und Schönen aus. Und genau dies gilt es, heute wieder erfahrbar zu machen, gerade auch denen, die an die Stelle der Fülle die Leere und Kunstlosigkeit stellen wollen. 


Mittwoch, 13. Juni 2012

Der "Klampfenkatholizismus" und die Gitarre

Der Begriff „Klampfenkatholizismus“ ist eine ironische und kritische Bezeichnung für die Verwendung der Gitarre als Begleitinstrument für den Gemeindegesang sowie die meist hiermit verbundene liturgische "Bastelmentalität", die zur "Freestyleliturgie" führt. Hierbei muss man aber zwei Ebenen unterscheiden:

Zum einen ist die Gitarre in größeren Räumen wie Kirchen nicht unbedingt geeignet zur Begleitung des Gemeindegesangs. Gitarre wie auch Laute sind eher für die Begleitung einzelner Sänger oder kleinerer Gruppen angemessen. Hinzu kommt jedoch entscheidend, dass die Gitarre als bewusstes Element einer Desakralisierung eingesetzt wird, was die musikalische Faktur der von ihr begleiteten Lieder unterstützt. Es entsteht mehr eine „Lagerfeueratmosphäre“ als die einer kultisch-liturgischen Handlung. Die Verwendung der Gitarre in der Liturgie ist ein Phänomen bzw. ein Relikt der 60er und 70er Jahre, als Protest gegen eine traditionell orientierte Hochliturgie mitsamt der überkommenen Kirchenmusik und der Orgel und entspringt so sicher dem Geist der "theologischen 68er".

Zum anderen dürfen aber solche kritischen Bemerkungen zur Art der liturgischen Verwendung der Gitarre dieses Instrument nicht generell abwerten, wie es der Terminus „Klampfe“ nahezulegen scheint. Die Gitarre sowie die ihr verwandte Laute sind Instrumente, die sich hervorragend auch für anspruchsvolle polyphone Musik eignen und ihre eigene Schönheit entfalten können. Als kleines Beispiel hier eine Fuge von J. S. Bach: 



Ebenso ist vor allem die Laute ein typisches Continuo-Instrument, das sehr gut für die Begleitung einer Arie oder Sonate für Soloinstrument geeignet ist. Auch hier ein kleines Beispiel:


Die Beispiele zeigen, dass Gitarre und Laute eine ganz andere Dimension besitzen, als es das Gitarrenspiel in so manchem Jugendgottesdienst erahnen lassen würde. Wenn sich also auch die Gitarre aufgrund ihres eher leiseren Klangs nicht als Begleitinstrument des Gemeindegesangs in einer Kirche eignet, könnte sie in einem Ensemble oder auch zur Begleitung eines Sologesanges, etwas einem Lied aus Bachs Schemelligesangbuch, durchaus Verwendung finden, auch wenn man hier der Orgel als d e m kirchlichen Instrument meist den Vorzug gibt. 

Insgesamt muss man aber festhalten, dass die Art und Weise des "liturgischen Gitarrenspiels" dem Ansehen dieses Instruments eigentlich erheblich schadet, impliziert man hier doch eher die "Klampfe" am Lagerfeuer, die man auch mit geringerem Übungsaufwand zu beherrschen glaubt, wonach es sich in manchem "modernem" Gottesdienst dann auch anhört. Dies wird aber dem Instrument in keinster Weise gerecht. Somit scheint die Gitarre auch ein "verkanntes" Musikintrument zu sein, das seine Funktion als "Katalysator der Desakralisierung" überhaupt nicht verdient hat.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Lauda Sion salvatorem

Das Hochfest Fronleichnam (von mittelhochdeutsch: vrône lîcham „des Herren Leib“) wurde erstmals 1246 im Bistum Lüttich gefeiert und 1264 von Papst Urban IV., der zuvor Erzdiakon in Lüttich war, durch die Bulle „Transiturus de hoc mundo“ zum Fest der Gesamtkirche erhoben. Festinhalt ist das feierliche Gedächtnis der Einsetzung des Altarssakramentes, welches auch am Gründonnerstag begangen wird, dort allerdings stärker von der bevorstehenden Passion geprägt und somit verhaltener.
Die Anregung zum Fronleichnamsfest soll auf eine Vision der später heilig gesprochenen Augustiner-Chorfrau Juliana von Lüttich im Jahre 1209 zurückgehen. Diese habe in einer Vision den Mond gesehen, der an einer Stelle verdunkelt war. Christus habe ihr erklärt, dass der Mond das Kirchenjahr bedeute, der dunkle Fleck aber das Fehlen eines eigenen Festes des Altarssakraments, auf dessen Einführung sie hinwirken solle.
Die Gebete und Hymnen für Messfeier und Stundengebet werden dem großen Theologen Thomas von Aquin zugeschrieben; viele von ihnen sind auch als deutsche Kirchenlieder bekannt geworden: Pange lingua (Preise Zunge das Geheimnis), Adoro te devote (Gottheit tief verborgen) oder die berühmte Sequenz Lauda Sion salvatorem (Deinem Heiland, Deinem Lehrer).
Mit einer feierlichen Sakramentsprozession wurde das Fest erstmals im Jahre 1277 in Köln begangen. Danach hat sich dieser Brauch in ganz Deutschland und auch darüber hinaus ausgebreitet.


Introitus "Cibavit eos"


Sequentia "Lauda Sion salvatorem"

Sonntag, 3. Juni 2012

Benedicta sit sancta Trinitas


Der heutige Festtag macht uns bewusst, dass wir in all unserem Reden von Gott niemals das Mysterium Gottes je völlig einholen können. Diese Unbegreiflichkeit Gottes bringt diese folgende kleine Geschichte zum Ausdruck:
Einst ging der hl. Augustinus - so wird erzählt - am Meer spazieren und dachte über das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Da bemerkte er ein Kind, das mit seinem kleinen Eimer Wasser aus dem Meer in einen kleinen, abgegrenzten Bereich schöpfte. „Was machst du da?“ - „Ich möchte das Meer in meinen Teich schöpfen!“. Da lachte Augustinus: „Das wird dir nie gelingen!“. Da richtete sich das Kind auf und sagte: „Ich mache es genauso wie du: Du willst mit deinem kleinen Verstand das unergründliche Geheimnis des dreieinigen Gottes verstehen!“
Gott ist der immer Größere, der Andere, der sich dem menschlichen Begreifenwollen im letzten immer wieder entzieht. Menschliche Rede ist raum-zeitlich gebundene Rede, die eine Welt jenseits dieser irdischen Welt, die Transzendenz, die zeitlose Welt, nur sehr schwer zum Ausdruck bringen kann. Daher ist religiöse Sprache eine sehr bilderreiche und poetische Sprache, die im wahrsten Sinne des Wortes Unanschauliches in die Anschaulichkeit von Symbolen und Bildern überführt.

Auch wenn, wie uns das Vierte Laterankonzil lehrt, die Unähnlichkeit jeder Aussage über Gott größer ist als die Ähnlichkeit, ist Gott dennoch im christlichen Glauben nie nur der ganz Ferne, da er durch die Offenbarung in Jesus Christus mit uns Menschen in Beziehung tritt. Um es mit den Worten Jochen Kleppers zu sagen:
Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah. Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah, mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar, will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr.
Es ist diese Spannung, die den christlichen Glauben zutiefst prägt. Wir können die Gedanken Gottes nicht nachdenken, wir können ihn selbst nicht begreifen, wir wissen aber, dass wir Gott als seine Geschöpfe nicht gleichgültig sind, weil er selbst durch die Propheten, dann in Jesus Christus zu uns gesprochen hat. Diese Beziehung zwischen dem unsagbaren großen Gott und dem kleinen Mensch als seinem Geschöpf spiegelt auch Psalm 8 wider:
2 Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus.
3 Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.
4 Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt:
5 Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
6 Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.
7 Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt:
8 All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere,
9 die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.
10 Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!


Samstag, 2. Juni 2012

Der außerordentliche Usus im Film 1



Der obige Ausschnitt stammt aus dem Film „True Confessions“ aus dem Jahre 1981. Man kann über den Zusammenschnitt aus liturgischer Sicht sicherlich geteilter Meinung sein, da der Eindruck entsteht, dass auf die Elevation des Kelches ein „Dominus vobiscum“ folgt. Das ist sicherlich etwas ungeschickt gemacht. Darüber hinaus ist es aber schon sehr berührend. Und man wird nicht leugnen können, dass dieses „Exzerpt“ die Schönheit der Formen einer klassischen Liturgie widerspiegelt. Diese ist – historisch betrachtet – „von dieser Welt“ und gleichzeitig ist sie es auch nicht…

Freitag, 1. Juni 2012

Die Identitätskrise der Kirchenmusik und ihre mögliche Überwindung


1. Gegenwärtig befindet sich an nicht wenigen Orten die katholische Kirchenmusik in einer tiefgehenden Krise. Im deutschsprachigen Raum scheint die Situation im Vergleich zu Italien, Frankreich, Spanien u. a. noch akzeptabel zu sein, da es noch eine ganze Reihe hochqualifizierter Kirchenmusiker gibt, die ihren Dienst mit viel Engagement und Einsatz verrichten, auch wenn hier Sparmaßnahmen vieles in Frage zu stellen drohen. In Italien zB., ja sogar in Rom selbst, kann man es häufig beobachten, dass zwar eine Orgel in der Kirche vorhanden ist, diese aber schweigt. Sie wird dann gleichsam zu einer Art „Sinnruine“, die den kundigen Kirchenbesucher mit Trauer und einer leisen Sentimentalität erfüllt. „Sic transit gloria mundi“ – „So vergeht der Welten Ruhm“ mag man angesichts stummer Orgeln bzw. ihrer Substitution durch Gitarrenmusik denken.

2. Als Indiz einer Identitätskrise katholischer Kirchenmusik soll heute das Augenmerk auf einen hiermit eng verbundenen Problembereich gelegt werden, nämlich die Verwendung moderner Unterhaltungsmusik in der Liturgie. Dies geschieht längst nicht mehr nur in eigens abgehaltenen Jugendmessen, sondern auch in „normalen“ Messliturgien sowie „Großveranstaltungen“, wie zB. bei Katholikentagen, scheint die Verwendung von „Sacro-Pop“ nahezu unumgänglich zu sein. Auf diese Weise möchte man vor allem junge Menschen ansprechen, offenbar in der Annahme, dass diese im Grunde nur noch durch Formen von Pop- und Rockmusik erreichbar sind. Auf den ersten Blick scheint ein solches Unterfangen durchaus plausibel zu sein. Unterliegt nicht auch die Kirchenmusik Entwicklungsprozessen? Was man vor 100 oder 50 Jahren für angemessen hielt, muss es nicht mehr in unserer Zeit sein. Hat denn nicht jede Zeit ihre ganz eigenen Ausdrucksformen? Entspricht die Verwendung populärer Unterhaltungsmusik nicht sogar der vom Konzil betriebenen Öffnung zur Welt? Solche oder ähnliche Argumente kann man immer wieder hören, so dass es notwendig erscheint, sich einmal eingehender mit diesem Problemkomplex zu beschäftigen.

3. Der Ausgangspunkt unserer Überlegungen über das Wesen katholischer Kirchenmusik soll die Tatsache sein, dass nichts in der Liturgie der Kirche Selbstzweck ist, sondern alles Verweischarakter besitzt. Die je eigene Schönheit des Kirchengebäudes, die herrlichen Kultgewänder und heiligen Geräte, der wohlduftende Weihrauch, der Kirchenschmuck und so auch die Kirchenmusik sind in einen höheren Zusammenhang eingeordnet und haben im wesentlichen eine zweifache Aufgabe: Zum einen dienen sie der Verherrlichung und des Lobpreises der unermesslichen Größe und Majestät Gottes und sind somit so etwas wie eine - natürlich begrenzte - Antwort des Menschen auf die Erfahrung eines Gottes, der alles menschliche Begreifen um ein vielfaches übersteigt. Zum anderen wollen diese Dinge den Gläubigen helfen, gleichsam diese materielle Welt zu übersteigen, alle Erdenschwere hinter sich zu lassen und die Herzen zu der höheren, geistigen und ewigen Wirklichkeit des Heiligen zu erheben. Dies könnte man mit dem Churer Theologen und Philosophen Heinrich Reinhardt das Prinzip der „sacrifera sacralitas“ nennen, eine Atmosphäre der Sakralität, die uns Menschen eine Erfahrung des Heiligen schenkt, die über diese materielle Realität hinausweist (http://www.katholik.com/sakral.htm). In der Schönheit und im Glanz der kirchlichen Liturgie spiegelt sich im Hier und Jetzt ein wenig von der alles überstrahlenden göttlichen Schönheit wider, die irdische Liturgie ist gleichsam ein Vorkosten der himmlischen Liturgie und mit dieser also verbunden, wie es besonders in der östlichen Tradition verstanden wird und wie es auch vom Zweiten Vatikanum in SC 8 formuliert worden ist: 
In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes.

4. Wie aber kann speziell die Kirchenmusik dies alles erreichen? Sie wirkt auf die Seele des Menschen ein und löst in ihr Affekte aus, wodurch sie den Menschen bei der Transzendierung des Irdischen unterstützt. 
Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder deiner Kirche. Die Weisen drangen an mein Ohr, und die Wahrheit flößte sich ins Herz, und inniges Gefühl wallte über: Die Tränen flossen, und mir war wohl bei ihnen. 
So beschreibt Augustinus als mediterraner Mensch in den Confessiones seine Empfindungen, die in ihm durch den Kirchengesang in Mailand ausgelöst worden sind. Tiefe Ergriffenheit breitet sich also im Herzen derer aus, die diese Hymnen hören; es wäre wert, solche Zeugnisse über die Wirkung der musica sacra durch die Jahrhunderte zu sammeln, man würde beträchtliches finden. Ganz unterschiedliche Emotionen können in der Seele geweckt werden, alle aber hingeordnet auf das Heilige und Ewige. Ein heiliger Ernst, fern aller Zerstreung durch das Irdische soll das Innere des Menschen erfüllen: Mächtig-brausende Orgeltöne z.B. lassen uns etwas von der Größe und Majestät Gottes spüren und künden von einer anderen Wirklichkeit, leisere und ruhige Orgelmusik regt eher zur Meditation und Besinnung an. Der erhabene Gregorianische Choral in seiner großen Strenge und „trunkenen Nüchternheit“ zeigt dem Menschen, dass er nun gleichsam die Welt mit ihrer Geschäftigkeit und Diesseitsorientierung, also alles das, was vor dem Heiligtum ist, verlässt und den Bereich Gottes betritt, das Heiligtum. Er erinnert uns immer wieder auch an den Anspruch, den Gott an unser aller Leben stellt, und dem wir so oft nicht entsprechen. Ähnliches gilt etwa für die erhabene klassische Vokalpolyphonie eines Palestrina, Orlando di Lasso und für viele andere große und kleine Meister aller Jahrhunderte.

5. Da es um die Transzendierung des Menschen geht, dürfte es verständlich sein, dass sich die musica sacra zB. von der Musik, die man in einem Kaufhaus oder einer Unterhaltungssendung in Radio und Fernsehen hören kann, unterscheiden muss. Hinzu kommt, dass diese Musik völlig andere Wurzeln als die abendländische Kirchenmusik hat. Die moderne Rockmusik etwa besitzt diese im letzten in der afrikanischen Stammesmusik. Diese ist größtenteils auf die evocatio ausgerichtet, die Beschwörung von Göttern oder Dämonen, christliche Kirchenmusik auf die adoratio, die Anbetung Gottes. Aber auch in unserer Zeit, wo die Anfänge der modernen Popmusik kaum mehr im Bewusstsein der Massen sein dürften, besitzt sie eine andere Ausrichtung: Durch ihre eigenen musikalischen Ausdrucksformen, ihre schnellen Rhythmen, aber auch ihre Texte will die moderne Unterhaltungsmusik Zerstreuung und Ablenkung bieten, sie will Geschichten des alltäglichen Lebens, von Liebe und Leidenschaft, von Freude und Kummer erzählen, sie will je nachdem auch Protest ausdrücken oder einfach nur als Musik zum Tanz auffordern. Pop- und Rockmusik sind mit ihren musikalischen Ausdrucksformen naturgemäß nicht auf das Ewige ausgerichtet, was ja auch gar nicht ihr eigener Anspruch ist, sondern mehr auf den Augenblick, auf eine gewisse Gefälligkeit, auf eine unmittelbare Eingängigkeit. Wohlgemerkt: Diese Musik besitzt zweifelsohne ihre Berechtigung im Leben der Menschen, das steht außer Frage; sie sollte jedoch nicht mit Schlagzeug, E-Gitarre und hämmernden Rhythmen in den heiligen Raum eindringen. Machen wir die Probe auf Exempel: Nur sehr wenige würden wohl auf die Idee kommen, auf einer Geburtstagsparty durchgängig Gregorianischen Choral oder Palestrina erklingen zu lassen. Wenn im Fernsehen übrigens unsere schönen Dome, Kirchen und Klöster vorgestellt werden, hört man im Hintergrund sehr oft Gregorianik oder klassische Vokalpolyphonie. Dies ist eine ganz natürliche und nahe liegende Assoziation.

6. Für die Kirchenmusik ergibt sich heute eine zweifache Aufgabe: Zum einen muss der große thesaurus musicae sacrae intensiv gepflegt werden, was wiederum auch das Zweite Vatikanische Konzil in SC 114 betont:  
Der Schatz der Kirchenmusik möge mit größter Sorge bewahrt und gepflegt werden. Die Sängerchöre sollen nachdrücklich gefördert werden, besonders an den Kathedralkirchen. Dabei mögen aber die Bischöfe und die übrigen Seelsorger eifrig dafür Sorge tragen, daß in jeder liturgischen Feier mit Gesang die gesamte Gemeinde der Gläubigen die ihr zukommende tätige Teilnahme auch zu leisten vermag.
Doch ebenso muss diese großartige Tradition in unserer Zeit lebendig und adäquat fortgeführt werden. Nicht nur zur Bewahrung, sondern auch zur Weiterentwicklung ist die Kirchenmusik aufgerufen. Auch unsere Zeit muss ohne jeden Zweifel einen würdigen Beitrag zur musica sacra in all ihren Bereichen leisten. Kriterium jeglicher Neuschöpfung muss aber sein, ob die beiden eingangs beschriebenen Intentionen der Kirchenmusik erfüllt sind, die Verherrlichung und Anbetung Gottes und die Transzendierung des Menschen. Hierzu dürfen nur wirklich geeignete Ausdrucksformen unserer Zeit Verwendung finden, die jedoch die Gläubigen, denen die Eigenarten moderner Satztechnik nicht vertraut sind, auch nicht verschrecken sollten. So wird man etwa auf eine nicht zu extensive Verwendung von Dissonanzen achten müssen. Ebenso wird es wichtig sein, die große Tradition des Kirchenliedes angemessen weiterzuführen. Hierbei kommt es neben gediegener musikalischer Komposition auch auf Texte an, die poetisch gehobenes Niveau besitzen. Um anzudeuten, welche Wege hier beschritten werden sollten, sei stellvertretend zB. Jochen Klepper genannt. Als kleines Hörbeispiel habe ich das berühmte Gedicht von Dietrich Bonhoeffer „Von guten Mächten“ in der Vertonung von Otto Abel angeführt. Es ist kein Zufall, dass die Melodie aus dem Jahre 1959, gleichsam also vom Vorabend der 60er Jahre stammt. Denn in der evangelischen wie in der katholischen Kirche haben die 60er und 70er Jahre dazu geführt, dass viele Zeitgenossen mit „Neuem Geistlichen Lied“ nahezu ausschließlich Lieder im Sacro-Pop-Stil mit Schlagzeug und E-Bass verbinden, eine Entwicklung, die es zu korrigieren gilt, ja mehr noch, ein schmerzender Bruch, den es zu heilen gilt. 



7. Fürst Wladimir von Kiew hatte einst Gesandte zu den Deutschen, Polen, Griechen und Bulgaren mit der Prüfung beauftragt, welche Religion am besten für sein Reich sei. Als diese aus Konstantinopel zurückkamen, waren sie überwältigt von der Erhabenheit und Schönheit der Liturgie, die sie in der Hagia Sophia erlebten, so dass sie verwundert fragten, ob sie noch auf Erden oder schon im Himmel seien. Größeren Glanz könne man auf Erden unmöglich finden. Fürst Wladimir entschied sich daraufhin für die byzantinische Kirche und ließ sich im Jahre 988 taufen. Die Schönheit der Transzendenz bereits ahnungsweise in dieser Welt erfahrbar zu machen, ist eine grundlegende Aufgabe der Kirchenmusik. Wo übrigens hätten sich die Gesandten aus Kiew wohl gewähnt, wenn sie an einem Gottesdienst mit Pop-, Rock- oder gar Technomusik teilgenommen hätten?