Beginnen wollen wir unsere kleine
Sprachgeschichte heute mit der griechischen Sprache als der
Originalsprache des NT, weshalb ihr in der christlichen Tradition eine besondere
Dignität zukommt. Das Griechische ist mit dem Lateinischen zusammen die wichtigste Kultursprache des antiken Europas und beide Sprachen sind für eine intensive Auseinandersetzung mit europäischer Kultur und Geistesgeschichte unabdingbare Voraussetzungen.
Die frühesten Sprachzeugnisse des Griechischen
stammen aus Mykenischer Zeit, gehören also dem 14. – 12. Jh. v. Chr. Diese sind
in einer Silbenschrift verfasst, die auch als Linear B bekannt ist. Sie wurde
erst im 20. Jh. entziffert. Die charakteristische Schrift der Griechen, die sie
bis auf den heutigen Tag verwenden, verdankt sich der Übernahme und Adaptation des
phönizischen Alphabets gegen 800 v. Chr. Nun steht einer Herausbildung der
großen klassischen Literatur nichts mehr entgegen. Die führende Stadt ist
hierbei im 5. und 4. Jh. Athen, so dass das attische Griechisch eine besondere
Bedeutung erhält. Stellvertretend seien hier Namen wie Thukydides, Platon, Xenophon
und Aristophanes genannt.
Beim Griechischen des NT handelt es sich allerdings
nicht um das klassische Griechisch, sondern das sog. Koine-Griechisch (=
Gemeinsprache), das durch die Feldzüge Alexanders des Großen und die gewaltige
Ausbreitung griechischer Kultur entstanden ist. Die verschiedenen Dialekte des
Griechischen (Attisch, Jonisch, Dorisch etc.) werden zu einer einzigen Sprachform
vereinigt, wobei das Attische gewissermaßen die Funktion einer „Leitsprache“ übernimmt.
Griechisch wurde im Hellenismus zu einer
Weltsprache im Sinne einer Verkehrs- und Standardsprache, die von Südfrankreich
(griechische Kolonien waren dort zB. Nizza und Marseille) bis nach Indien und
ins heutige Afghanistan gesprochen wurde. Im römischen Reich, das die
hellenistischen Diadochenreiche ablöste (Diadochen sind die Nachfolger Alexanders
des Großen), waren viele gebildete Römer zweisprachig. Kaiser Marc Aurel
schreibt seine „Selbstbetrachtungen“ nicht lateinisch, sondern griechisch,
vermutlich in dem Empfinden, dies sei die der Philosophie angemessene Sprache. Ab
dem 4. Jh. geht die Zweisprachigkeit Im Westen immer mehr zurück. Augustinus
zB. berichtet in seinen Confessiones, wie mühsam er die griechische
Sprache erlernte. Personen wie der große Philosoph und Staatsmann Boethius, der
als Lateiner im 6. Jh. hervorragend Griechisch beherrschte, sind in dieser Zeit
schon große Ausnahmen.
Anders sieht die Situation im Osten des
römischen Reiches aus. Das Lateinische hatte sich hier nie wirklich durchsetzen
können, so dass es nicht verwunderlich ist, dass die Umgangssprache im Byzantinischen
Reich das Griechische war. Die Verwaltungs- und Rechtssprache ist zwar bis Kaiser
Justinian Lateinisch, aber die lingua franca des Ostens war schon immer
das Griechische. Die Schriftsteller hatten sich etwa seit dem 1. Jh. v Chr. von
der Koine abgewendet und dem Vorbild der klassischen attischen Autoren des 5. /
4. vorchristlichen Jahrhunderts zugewendet. Man nennt dies auch „Attizismus“.
Wer etwas auf sich hielt, schrieb so wie Xenophon. Diese attizistische Tendenz
wird auch im Byzantinischen Reich gepflegt, so dass immer mehr eine Diglossie,
d. h. ein Auseinandertreten von gesprochener Volks- und Schriftsprache eintritt,
die für die griechische Sprache charakteristisch bleiben sollte.
Nach der türkischen Eroberung Griechenlands
und Konstantinopels (1453) halten die Griechen an ihrer Sprache fest, nehmen
aber viele Lehnworte aus dem Türkischen auf. Nach dem Ende der türkischen
Herrschaft 1823 gibt es Bestrebungen, zur klassischen Sprache der Antike
zurückzukehren. Allerdings wählt man als Schriftsprache eine dem antiken Griechisch
nahestehende Sprachform, die allerdings nicht völlig identisch mit diesem ist.
Man bezeichnet sie als die „Reinsprache“ (Kathareuousa) gegenüber der „Volkssprache“
(Demotike). Erstere ist die offizielle Sprache Griechenlands gewesen und wurde obligatorisch
im Bildungs- und Rechtswesen verwendet. Erst 1976 wurde in Griechenland die
Vorherrschaft der Kathareuousa zugunsten der Volkssprache aufgegeben. Neben
einer noch heute in Kathareuousa erscheinenden Zeitung (Hestia) pflegt die orthodoxe
Kirche in ihren offiziellen Verlautbarungen die alte Hochsprache.
In ihrer Liturgie verwendet sie weder Kathareuousa noch Demotike,
sondern die alte Koine, so dass man mit guten Griechisch-Kenntnissen eigentlich alles
verstehen kann, wenn auch nicht vom Hören, so denn doch mit Textvorlage. Denn
die Aussprache ist auch in der Liturgie die neugriechische, die sich von unserer Aussprache
an Schulen und Universitäten beträchtlich unterscheidet.
Abschließend noch die kleine Textprobe Apg 2, 1-4:
1Καὶ ἐν τῷ συμπληροῦσθαι τὴν ἡμέραν τῆς πεντηκοστῆς ἦσαν πάντες ὁμοῦ ἐπὶ τὸ αὐτό.
2καὶ ἐγένετο ἄφνω ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἦχος ὥσπερ φερομένης πνοῆς βιαίας καὶ ἐπλήρωσεν ὅλον τὸν οἶκον οὗ ἦσαν καθήμενοι:
3καὶ ὤφθησαν αὐτοῖς διαμεριζόμεναι γλῶσσαι ὡσεὶ πυρός, καὶ ἐκάθισεν ἐφ' ἕνα ἕκαστον αὐτῶν,
4καὶ ἐπλήσθησαν πάντες πνεύματος ἁγίου, καὶ ἤρξαντο λαλεῖν ἑτέραις γλώσσαις καθὼς τὸ πνεῦμα ἐδίδου ἀποφθέγγεσθαι αὐτοῖς.