Sonntag, 27. Mai 2012

Griechisch - die Sprache des Neuen Testaments und der byzantinischen Kirche


Beginnen wollen wir unsere kleine Sprachgeschichte heute mit der griechischen Sprache als der Originalsprache des NT, weshalb ihr in der christlichen Tradition eine besondere Dignität zukommt. Das Griechische ist mit dem Lateinischen zusammen die wichtigste Kultursprache des antiken Europas und beide Sprachen sind für eine intensive Auseinandersetzung mit europäischer Kultur und Geistesgeschichte unabdingbare Voraussetzungen.

Die frühesten Sprachzeugnisse des Griechischen stammen aus Mykenischer Zeit, gehören also dem 14. – 12. Jh. v. Chr. Diese sind in einer Silbenschrift verfasst, die auch als Linear B bekannt ist. Sie wurde erst im 20. Jh. entziffert. Die charakteristische Schrift der Griechen, die sie bis auf den heutigen Tag verwenden, verdankt sich der Übernahme und Adaptation des phönizischen Alphabets gegen 800 v. Chr. Nun steht einer Herausbildung der großen klassischen Literatur nichts mehr entgegen. Die führende Stadt ist hierbei im 5. und 4. Jh. Athen, so dass das attische Griechisch eine besondere Bedeutung erhält. Stellvertretend seien hier Namen wie Thukydides, Platon, Xenophon und Aristophanes genannt.

Beim Griechischen des NT handelt es sich allerdings nicht um das klassische Griechisch, sondern das sog. Koine-Griechisch (= Gemeinsprache), das durch die Feldzüge Alexanders des Großen und die gewaltige Ausbreitung griechischer Kultur entstanden ist. Die verschiedenen Dialekte des Griechischen (Attisch, Jonisch, Dorisch etc.) werden zu einer einzigen Sprachform vereinigt, wobei das Attische gewissermaßen die Funktion einer „Leitsprache“ übernimmt.

Griechisch wurde im Hellenismus zu einer Weltsprache im Sinne einer Verkehrs- und Standardsprache, die von Südfrankreich (griechische Kolonien waren dort zB. Nizza und Marseille) bis nach Indien und ins heutige Afghanistan gesprochen wurde. Im römischen Reich, das die hellenistischen Diadochenreiche ablöste (Diadochen sind die Nachfolger Alexanders des Großen), waren viele gebildete Römer zweisprachig. Kaiser Marc Aurel schreibt seine „Selbstbetrachtungen“ nicht lateinisch, sondern griechisch, vermutlich in dem Empfinden, dies sei die der Philosophie angemessene Sprache. Ab dem 4. Jh. geht die Zweisprachigkeit Im Westen immer mehr zurück. Augustinus zB. berichtet in seinen Confessiones, wie mühsam er die griechische Sprache erlernte. Personen wie der große Philosoph und Staatsmann Boethius, der als Lateiner im 6. Jh. hervorragend Griechisch beherrschte, sind in dieser Zeit schon große Ausnahmen. 

Anders sieht die Situation im Osten des römischen Reiches aus. Das Lateinische hatte sich hier nie wirklich durchsetzen können, so dass es nicht verwunderlich ist, dass die Umgangssprache im Byzantinischen Reich das Griechische war. Die Verwaltungs- und Rechtssprache ist zwar bis Kaiser Justinian Lateinisch, aber die lingua franca des Ostens war schon immer das Griechische. Die Schriftsteller hatten sich etwa seit dem 1. Jh. v Chr. von der Koine abgewendet und dem Vorbild der klassischen attischen Autoren des 5. / 4. vorchristlichen Jahrhunderts zugewendet. Man nennt dies auch „Attizismus“. Wer etwas auf sich hielt, schrieb so wie Xenophon. Diese attizistische Tendenz wird auch im Byzantinischen Reich gepflegt, so dass immer mehr eine Diglossie, d. h. ein Auseinandertreten von gesprochener Volks- und Schriftsprache eintritt, die für die griechische Sprache charakteristisch bleiben sollte. 

Nach der türkischen Eroberung Griechenlands und Konstantinopels (1453) halten die Griechen an ihrer Sprache fest, nehmen aber viele Lehnworte aus dem Türkischen auf. Nach dem Ende der türkischen Herrschaft 1823 gibt es Bestrebungen, zur klassischen Sprache der Antike zurückzukehren. Allerdings wählt man als Schriftsprache eine dem antiken Griechisch nahestehende Sprachform, die allerdings nicht völlig identisch mit diesem ist. Man bezeichnet sie als die „Reinsprache“ (Kathareuousa) gegenüber der „Volkssprache“ (Demotike). Erstere ist die offizielle Sprache Griechenlands gewesen und wurde obligatorisch im Bildungs- und Rechtswesen verwendet. Erst 1976 wurde in Griechenland die Vorherrschaft der Kathareuousa zugunsten der Volkssprache aufgegeben. Neben einer noch heute in Kathareuousa erscheinenden Zeitung (Hestia) pflegt die orthodoxe Kirche in ihren offiziellen Verlautbarungen die alte Hochsprache.

In ihrer Liturgie verwendet sie weder Kathareuousa noch Demotike, sondern die alte Koine, so dass man mit guten Griechisch-Kenntnissen eigentlich alles verstehen kann, wenn auch nicht vom Hören, so denn doch mit Textvorlage. Denn die Aussprache ist auch in der Liturgie die neugriechische, die sich von unserer Aussprache an Schulen und Universitäten beträchtlich unterscheidet.

Abschließend noch die kleine Textprobe Apg 2, 1-4:         

1Καὶ ἐν τῷ συμπληροῦσθαι τὴν ἡμέραν τῆς πεντηκοστῆς ἦσαν πάντες ὁμοῦ ἐπὶ τὸ αὐτό.
2καὶ ἐγένετο ἄφνω ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἦχος ὥσπερ φερομένης πνοῆς βιαίας καὶ ἐπλήρωσεν ὅλον τὸν οἶκον οὗ ἦσαν καθήμενοι:
3καὶ ὤφθησαν αὐτοῖς διαμεριζόμεναι γλῶσσαι ὡσεὶ πυρός, καὶ ἐκάθισεν ἐφ' ἕνα ἕκαστον αὐτῶν,
4καὶ ἐπλήσθησαν πάντες πνεύματος ἁγίου, καὶ ἤρξαντο λαλεῖν ἑτέραις γλώσσαις καθὼς τὸ πνεῦμα ἐδίδου ἀποφθέγγεσθαι αὐτοῖς.

1 Kommentar: