2. Eine Argumentation, die
ich in diesem Zusammenhang gelesen habe, war folgende: In früheren Zeiten hatte
die Beschneidung durchaus einen praktisch-hygienischen Nutzen, der heute aber
nicht mehr notwendig ist, da zumindest in unseren Breitengraden gänzlich andere
hygienische Voraussetzungen bestehen. Eine solche Sichtweise zeigt, dass man
das Wesen religiöser Symbolik und religiöser Zeremonien nicht recht verstehen
kann oder will.
3. Kein gläubiger Jude würde
die Beschneidung mit hygienischen Vorteilen begründen. Für ihn ist die
Beschneidung Zeichen des Bundes Gottes mit dem Volk Israel (Gen 17, 10-14). Die
Intention ist eine völlig andere. Die Beschneidung ist die Voraussetzung, um
Jude zu werden. Mehr noch: Sie ist ein fester und zentraler Bestandteil
religiöser Identität.
4. Für viele (wie immer
natürlich: nicht alle) Mitteleuropäer sind solche Gedankengänge nur sehr schwer
bis gar nicht nachzuvollziehen. Man neigt dazu, Religion wie andere
kulturell-sozialen Phänomene zu betrachten und zu bewerten. Auf diese Weise
jedoch wird man weder der eigenen noch fremden Religionen gerecht. Ein Grund
für diese religiöse Verstehensschwäche ist bisweilen, dass die eigene
religiöse Identität sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrgenommen wird.
5. Dass es selbst innerhalb der
Religionen solche Verstehensschwierigkeiten gibt, zeigt zB. der bekannte
Schweinfurter Pfarrer und Kirchenkritiker Roland Breitenbach auf der Homepage
seiner Pfarrgemeinde St. Michael:
Er erkennt zwar die
Schwierigkeit des Themas an, nimmt die Diskussion jedoch zum Anlass, diese auf
andere Religionen auszudehnen sowie auch zur Kritik an der katholischen Kirche
ausholen zu können:
Es bleibt die Anfrage an die Religionen, ob sie in ihren alten Mustern sitzen bleiben wollen, selbst wenn sie noch so sehr durch die Tradition geheiligt sein mögen. Für mich ist das Beschneidungsverbot durch das Kölner Gericht wie ein großes Fragezeichen hinter die merkwürdigen religiösen Bräuche aus alter Zeit. Das gilt ebenso für das Christentum. Es muss sich fragen lassen, ob es nicht auch in überholten Vorstellungen gefangen bleibt, zum Beispiel was die Spendung der Sakramente betrifft.
Aus Sicht eines gläubigen
Juden ist die Beschneidung eben gerade nicht überholt, sondern ein tiefer
Ausdruck seines Glaubens und religiösen Identität. Ähnliches gilt mutatis
mutandis auch für die christlichen Sakramente. Die „merkwürdigen Bräuche
aus alter Zeit“ sind für eine Religion nicht der Kringel auf der Sahnetorte,
sondern sind ein zentrales religiöses Element. Sie begleiten den Menschen und
verbinden ihn auf wundersame, im letzten rein rational nicht erfassbaren Art
und Weise mit dem Göttlichen, dem Absoluten.
6. Die dem
Nichtgläubigen so seltsam erscheinenden Riten führen dem Menschen immer wieder
vor Augen, dass Religion sich nicht im Hier und Jetzt erschöpft, sondern eine
offene Dimension besitzt, die in eine andere Wirklichkeit verweist. Religion
strebt himmelwärts. Sie ankert in der Überzeugung, dass diese Welt, die wir
sehen und fühlen können, nicht alles ist. Und dies drückt sie in Riten aus.
7. So gesehen dürfen diese
Riten geradezu den Anstrich des Fremden, des Geheimnisvollen tragen, das in
unsere schnelllebige materialistische Zeit nicht so recht hineinpassen will.
Sie werden so zum Katalysator religiöser Unterweisung, die nötig ist, um sich
in einer Religion zurecht zu finden. Eine solche muss natürlich gewährleistet
sein, sei es in Christentum, Judentum, Islam oder sonst einer Religion.
8. Die Gefahr für eine
Religion besteht genau darin, dass dieses religiöse Wissen nicht mehr tradiert
wird. Dies wird zur Überlebensfrage jeder Religion, nicht nur des Judentums.
Denn durch das Erlernen der Inhalte einer Religion, zu denen natürlich auch
Zeremonien und heilige Handlungen gehören, bildet sich die religiöse Identität
heraus. Im Kontext einer pluralen Gesellschaft bedeutet dies: Nur wenn ich
selbst eine religiöse Identität besitze, dann werde ich auch die von anderen
Menschen achten und verstehen können.
Petition gegen Beschneidung
AntwortenLöschen20. Juli 2012
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:
§ 1631d
Verbot der rituellen Genitalmutilation
Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.
Begründung
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR, Paris 10.12.1948) und das auf ihr beruhende Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (23.05.1949) richten sich zuallererst an den Menschen als Individuum und nicht, wie in der von Stammesreligion, Rechtspluralismus und Initiationsriten geprägten kulturellen Vormoderne (...)
http://eifelginster.wordpress.com/2012/07/21/297/
Eva Quistorp (Theologin) hat auf Jacques Auvergne (Sozialarbeiter) geantwortet, gestern nachmittag. Beschneiden will die Theologin das betäubte männliche Kind nach wie vor, hier zwei Zitate aus ihrer Begründung; alle Denk- und Rechtschreibfehler sind geistiges Eigentum der Pazifistin und Feministin. Auch ich habe mich eingemischt.
LöschenQuistorp: “Wenn ich es als wohl schwer zu ändernden Fakt aus verschiedenen Grünen anerkenne, dass wohl bei der Lage der Debatte und der Aufregung des Zentralrates der Juden und der Muslime, die mit SChlagworten wie Vertreiben und Verbieten Panikmache gemacht haben,das KÖlner Urteil nicht zu bundesweitem Recht werden wird ,habe ich nur eine Realität beschrieben und mir das nicht gewünscht. … Ich glaube, das judentum hat in seiner prophetischen udn liberalen Tradition mehr zu bieten als die bisherige BEschneidungsdebatte und der ISlam mit IBn Rushd und ABu Zaid mehr als KOpftuch, Burka, Beschneidungszwänge und gar SCharia in Europa”
http://schariagegner.wordpress.com/uber/#comment-1900
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Eva Quistorp (August 23, 2012 um 3:27 nachmittags, kommentiert auf dem Blog Schariagegner) windet sich wie ein Aal -- und hat schon wieder nicht gesagt, dass sie die rituelle Vorhautamputation nicht will. Sie ist unsachlich genug, dem Sozialpädagogen Jacques Auvergne öffentlich zu unterstellen, ihren Beitrag falsch gelesen zu haben, entkräftet dessen prinzipiell beschneidungsgegnerische Argumente aber mit keiner Silbe.
Theologin Quistorp verbreitet vielmehr einen amorphen Wortschwall aus irgendwelchem reformerischen Potential in den Hochreligionen verwirbelt mit irgendwie bedauernswerten bundesdeutschen Sachzwängen, implizit und wenig zufällig gipfelnd im sinngemäßen Fazit: “An einer Legalisierung der Jungenbeschneidung kommt die BRD nicht vorbei!” Wie öffentlichg bekannt billigt Quistorp auch heute die nicht medizinisch indizierte Beschneidung. Und nichts anderes hat der pazifistische Sozialpädagoge und Beschneidungskritiker der pazifistischen Theologin und Beschneidungsfreundin vorgeworfen.
Die beschneidungsbegünstigende Feministin könnte jetzt entweder so ehrlich sein, wiederholt sinngemäß: “Ja, ich will die MGM, aber nur mit Betäubung!” zu sagen, das ist schließlich die nachweisbare Essenz ihres Essays Wider die postmoderne Religionspolitik, oder aber müsste endlich die Seite wechseln und öffentlich dafür eintreten, dass es in der kulturellen Moderne kein Elternrecht auf operative Mutilation des Kindergenitals gibt, aber eine Pflicht des Staates, dem Kind ein Selbstverständnis, Körperwahrnehmen und Sexualitätserfahren mit unversehrten eigenen Genitalien zu ermöglichen.
Vielleicht um Halacha und Scharia zu entsprechen oder um Halacha und Scharia nicht zu widersprechen weicht Quistorp hingegen aus; wie eingangs gesagt: sie windet sich wie ein Aal. Das ist argumentativ unredlich und für mich als Naturschützer, Pazifist und Jungenarbeiter, der einmal geglaubt hat, sich in der Partei der GRÜNEN wieder zu finden, ziemlich enttäuschend.
Immerhin ist klar, wer hier die Debatte zwischen dem Sozialpädagogen und der Theologin zum Thema Beschneidung gewonnen hat -- argumentativ, ethisch und vielleicht schon bald ja auch juristisch.
Cees van der Duin
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